Eine Schritt für Schritt Anleitung für explosive Pferde
Dein Pferd ist sehr angespannt und lässt sich in den ersten Minuten am Reitplatz nur schwer ruhig und gleichmäßig bewegen, weil es am liebsten Losbocken möchte? Das frei laufen lassen und das Longieren ist euch schon öfter eskaliert? Dann kann dir die folgende Übung möglicherweise helfen, die Bombe in deinem Pferd zu entschärfen.
Wichtig ist, zu verstehen, dass dein Pferd intuitiv immer nur das Richtige für seine Situation tun möchte. Die angestaute Energie muss einfach raus.
Diese Energie so zu kanalisieren, dass sich keiner weh tut, ist der erste Schritt. Es am Anfang gleich frei laufen zu lassen, wenn es angespannt ist wie ein Flitzebogen, kann zu unnötigen Verletzungen führen. Wenn dein Pferd beispielsweise dazu neigt, am Reitplatz total unkoordiniert loszurasen, obwohl es auf dem Paddock oder der Koppel war, liegt das möglicherweise daran, dass es am Reitplatzboden plötzlich eine bessere Trittsicherheit verspürt und die Reitplatzsituation mit Bewegung verknüpft.
Du willst also vermeiden, dass die ersten Runden beim Laufenlassen oder Longieren darin enden, dass sich dein unaufgewärmtes Pferd beim abrupten Abstoppen in der Ecke eine Stauchung oder ähnliche Lahmheit zuzieht - oder dass dein Pferd dich an der Longe hinter sich herzieht. Dabei reicht es schon, wenn sich dein Pferd bei den Bewegungen immer mehr aufregt, weil sie ihm ein unangenehmes Körpergefühl vermitteln. Wenn die Situation außer Kontrolle gerät, sind mir auch schon sehr übermotivierte, buckelnde Pferde einfach ausgerutscht und gestürzt, das kann dann sehr leicht mit einer Verletzung enden.
Um dieser Überreaktion Einhalt zu bieten, kannst du vor dem frei laufen lassen oder Longieren eine Übung aus der Bodenarbeit an der Hand machen. Wenn dein Pferd Seitengänge schon kennt, um so besser. Kennt dein Pferd die Seitengänge noch nicht, kannst du sie ihm so auf einfache Weise beibringen.
Schenkelweichen an der Hand
Ziel dieser Übungen ist es, deinem Pferd ein besseres Körpergefühl zu vermitteln sowie die Muskeln, Sehnen, Bänder und Faszien deines Pferdes zu lockern, bevor du es traben und galoppieren lässt.
Dieser Prozess funktioniert über mehrere Ebenen: einerseits die Körperebene und andererseits die emotionale Ebene.
Dein Pferd ist möglicherweise sehr aufgeregt, weil es ja gleich „die Sau rauslassen“ will und voll mit Adrenalin und im Fluchtmodus ist. Bei dieser Übung gehst du neben deinem Pferd, wie beim Führen und wendest deine vordere Körperseite dem Pferd etwas zu. Um den Fluchtmodus deines Pferdes zu entschärfen, kannst du es beim Führen mit dem Kopf und dem Hals leicht deinem Körper zugewandt abstellen. Die Höhe, auf der dein Pferd seinen Kopf trägt, sollte auf Höhe des Buggelenkes oder etwas darüber sein, ähnlich wie du es auch beim Reiten stellen und biegen würdest. Wenn du z.B. auf der linken Hand arbeitest, führst du dabei dein Pferd diesmal nicht mit der rechten, sondern mit der linken Hand und nutzt deine rechte Hand als „inneren Schenkel“ an der Rippe deines Pferdes, um es nach links zu stellen. Gehe dabei ruhig und fokussiert in gleichmäßigen Schritten neben deinem Pferd und achte auf deine tiefe und gleichmäßige Atmung. Das Pferd kann so deinen Geh-Rhythmus und deine Atmung wahrnehmen und widerspiegeln. Achte darauf, dass bei deinem Pferd ein ruhiger Takt in der Bewegung entsteht. Vermeide es, zu nah an die Bande zu kommen, denn dein Pferd könnte sich dadurch ablenken lassen und geht später eventuell nicht gerne seitwärts, da es Angst hat, an der Bande anzukommen. Auf der Zirkellinie zu gehen ist am Anfang sinnvoller als ganze Bahn. Deine Herausforderung dabei ist, dass du dich nicht von der Aufregung deines Pferdes anstecken lässt, sondern gleichermaßen Ruhe und Kraft ausstrahlst. Wenn du dich selbst aufgeregt und ängstlich fühlst, kann es sinnvoll sein, dich erst in eine ruhige, kraftvolle Gemütsverfassung zu bringen, bevor du beginnst, mit deinem Pferd zu arbeiten. Mir hat da immer geholfen, erst die Stallarbeit zu machen oder das Pferd gemütlich zu Putzen, dann war ich schon mal aufgewärmt und in meiner inneren Ruhe.
Wenn du deine Ruhe und Kraft so gar nicht finden kannst, ist es manchmal besser, wenn du dir Unterstützung von einer erfahrenen Person holst.
Wie geht es also weiter, wenn du mit deinem Pferd nun auf der linken Hand im Schritt leicht nach innen gestellt unterwegs bist?
Wenn das schon gut und flüssig funktioniert, kannst du die Übung nun zu einem Schenkelweichen oder Schulterherein ausbauen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass dein Pferd die leichte Innenstellung akzeptiert und bestmöglich die Führung an deinem mit der rechten Hand imitierten inneren Schenkel annimmt. Das wird es nur tun, wenn du es mit deiner linken Hand am Maul schaffst, immer wieder zum Nachgeben zu kommen. Achte darauf, wenn du mit der linken Hand nachgibst, wie der linke Hinterfuß deines Pferdes plötzlich lockerer und freier unter seinen Körperschwerpunkt schwingt. Dein Pferd wird das seitwärts nach rechts Wegtreten besser verstehen, wenn du besonders langsam beginnst. In der sehr langsamen Bewegung traut es sich viel bereitwilliger, seitwärts zu treten. Der Effekt, der daraus entsteht, ist fantastisch, weil dein Pferd beim Seitwärtsgehen beginnt, sich zu entspannen und sein Körpergefühl zurückkommt.
Das ist es, was du erreichen willst. Dein Pferd beginnt sich wohl zu fühlen, während es neben dir ganz ruhig leicht seitwärts geht. Es fühlt seinen Körper wieder mehr, weil ihm die Übung mit dir ein Wohlgefühl verschafft. Die Anzeichen dafür sind ein lockeres Ohrenspiel, das Absenken des Halses, ein entspanntes Pendeln des Schweifes, ein tiefes Aufatmen und das Abschnauben. Diese kleinen Anzeichen deines Pferdes sind sehr wichtig und zeigen dir den Erfolg deiner Arbeit. Dein Pferd spürt sich nun schon etwas besser in seinem Körper.
Jede Übung hat einen Anfang und ein Ende, für dein Pferd ist es jetzt wichtig, dass es in seinen Körper hinein spüren darf, also übertreibe es nicht, sondern beende das Seitwärtstreten dann, wenn es am schönsten ist.
Du beendest das Seitwärts weisen deiner rechten Hand an der Schenkellage des Pferdekörpers und entspannst deine linke führende Hand. Entspanne deine Arme und Schultern und signalisiere durch dein tiefes und ruhiges Ausatmen das Ende der Übung.
Führe dein Pferd nun im Schritt weiter ohne viel Einwirkung, möglicherweise folgt es dir nun eh schon bereitwillig und freut sich auf deine nächsten Signale.
Es ist wichtig zu verstehen, dass dein Pferd in den Pausen lernt und verarbeitet, was grade geschehen ist. Wenn es sich besser fühlt als vor der Übung, hast du seine Aufmerksamkeit schon für dich gewonnen. Spiele mit dieser einfachen Übung und wiederhole das ruhige Seitwärtstreten und einfache Führen zwei- bis dreimal bevor du die Seite wechselst. Nun bist du auf der rechten Seite des Pferdes und verfährst genau anders herum. Da Pferde ebenso wie wir eine bessere und eine schlechtere Seite besitzen, kann die Übung sich auf der neuen Seite anders anfühlen, lass dir und deinem Pferd also Zeit und erwarte nicht zu viel.
Warum können Seitengänge das Pferd so schnell beruhigen? Weil sie im Körper den Mechanismus der Tragkraft aktivieren! Die schnellen Vorwärtsbewegungen deines Pferdes kommen durch den Mechanismus der Schubkraft, der dem Fluchttier Pferd natürlicherweise angeboren ist. Die Schubkraft eines Pferdes ist daher in angespannten Situationen mit dem Fluchtreflex verbunden. Es ist also möglich, dass schnelle Bewegungen nach vorne das Pferd auf Dauer zwar ermüden, aber ihm auch mehr Stress und Angst machen. Während ruhige Bewegungen erstmal unspektakulär aussehen, bewirken sie jedoch viel schneller Entspannung und Lösung im Pferdekörper, auf die du nun mit gesunder Bewegung aufbauen kannst, denn auch vor dem Laufenlassen und Longieren sollst du dein Pferd lösen und aufwärmen, wie du es beim Reiten machen würdest.
Wenn du diese kleine Übung in deinem täglichen Trainingsablauf öfter wiederholst, wird es dir immer leichter fallen, dein Pferd auch in aufregenden Momenten unter Kontrolle zu behalten. Dein Pferd wird lernen, dir zu vertrauen und zu folgen, egal in welcher Gemütsverfassung. Darüber hinaus ist es eine gute Möglichkeit, jede deiner Trainingseinheiten zu beginnen, egal was du danach vorhast.
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